Wie geht es Kindern in der Krise?

Die Kindheit ist aus meiner Sicht deshalb die wichtigste Phase im Leben eines Menschen, weil sie das Fundament bildet, auf dem wir alles andere aufbauen werden. Sind es nicht die ersten überaus kostbaren Jahren unseres Lebens in denen die Weichen dafür gestellt werden, wie wir später mit Stress und den anderen Herausforderungen umgehen, inwieweit wir lernen selbstständig durchs Leben zu gehen und welche sozialen Fähigkeiten wir erwerben werden?

Oder in welchem Maß wir Glück und Zufriedenheit empfinden können, wie empathisch wir sind, wie mitfühlend wir mit uns selbst und mit anderen umgehen und wie viel Nähe wir in Beziehungen und Freundschaften zulassen können.

Wieso Weshalb Warum

Mir erscheint die Frage wesentlich zu sein: Wie erleben Kinder die Pandemie, die mit einschneidend neuen Regeln ihren Alltag so stark verändert hat?

Es gibt ja schon seit mehreren Jahren erschreckende Erkenntnisse darüber, dass unser Leistungssystem Kindern alles andere als gut tut. Bereits vor dieser Krise zeigte sich eine wachsende Zahl von Psychologen, Soziologen, Ärzten und Neurobiologen besorgt über den gesundheitlichen und psychischen Zustand von Kindern und Jugendlichen. Die Zahl der chronisch kranken Kinder ist so hoch wie nie zuvor.

Eine „Gebäudekindheit“ bedeutet nicht nur zu wenig Tageslicht, sie widerspricht auch unserem evolutionären Programm. Kann damit die weltweit rasante Zunahme der Kurzsichtigkeit zusammen hängen?

Hand aufs Herz

Wie steht es also um die Bedürfnisse der Kinder, wenn Kindergärten und Kitas schließen, die Großeltern oder das gesamte sichere und gewohnte Betreuungsnetz von einem Tag auf den anderen wegbricht?

Die Kinder unseres Landes erlebten die stärksten Einschränkungen in ihrer bisherigen Entwicklung.

Dazu gehören stundenlanges Masketragen, Quarantäne-Zeiten, gesperrte Spielplätze, Isolation in einer mitunter winzigen Wohnung und regelmäßiges Testen.

Mit der Hand auf dem Herzen kann ich mich nur selbst ehrlich befragen. Habe ich nach den Bedürfnissen der Kinder in meinem Lebensbereich gefragt? Hat mich ihre Antwort berührt und was konnte oder wollte ich tun, um sie bei der Stillung ihrer Bedürfnisse zu unterstützen?

Kinder brauchen nicht nur Betreuer, sondern auch Freunde

Tief betroffen machte mich ein Vortrag von Bernd Siggelkow, dem Gründer der „Arche“ in Berlin, den ich im November 2021 miterlebte.

Wer bisher noch zweifelte und nicht klar war, wie schlimm die Corona-Pandemie für Kinder und manche Familien war, dem sei sein neues Buch „Kindheit am Rande der Verzweiflung“ empfohlen. Dabei geht er hart mit der Politik ins Gericht. Sie hätten die Kinder alleine gelassen und etliche konstruktive Vorschläge ignoriert.

Er wirbt darum, einen Blick hinter die Wohnungstüren der Kinder zu werfen und sie in ihrer desolaten Lage zu unterstützen:

„Wir haben eine Bringschuld für die nachwachsende Generation.“

Das fordert der „Arche“-Gründer seit Jahren gebetsmühlenartig und nun noch nachdrücklicher.

Er beschreibt, dass während der Pandemie „Arche“-Einrichtungen geschlossen wurden. Kinder, die diese normalerweise besuchten, hatten von einem auf den anderen Tag kein kostenloses Mittagessen, keine Hilfe bei den Hausaufgaben oder liebevolle Umarmungen mehr erhalten. Kindern sei damit nicht nur eine Betreuungsmöglichkeit, sondern auch Freunde und Partner geraubt worden.

Kinder sind ein Geschenk

Finanziell hat die Corona-Krise vor allem bei Eltern benachteiligter Kinder ein Loch in die Haushaltskasse gerissen. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit oder als Minijobber und gehören zu der Gruppe, die als erste ihren Job verlieren und kaum oder kein Kurzarbeitergeld erhalten, erklärt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Zusätzlich zu den schweren Einschränkungen im Alltag, brechen für die Kinder Hilfsangebote weg. Doch auch schulisch drohen die Kinder abgehängt zu werden, denn häufig fehlt die technische Ausstattung fürs vorübergehende „Homeschooling“, wie zum Beispiel ein Laptop oder Drucker.

Die Pandemie hat sich als Brennglas für die Situation der jungen Generation entpuppt. Psychische Probleme, Vereinsamung und Zukunftsängste gehörten zur Tagesordnung. Die jungen Menschen können mit ihren Sorgen nicht an die Öffentlichkeit gehen. Für die Arche-Mitarbeiter hat Siggelkow deswegen die Prämisse ausgegeben, dass „jedes Kind sich in der Arche so wohl fühlen sollte, als wäre es das Einzige“.

Achtsames Hinschauen

Kinder in Kindergärten und Kitas brauchen gewiss das achtsame Hinschauen, wenn wir ihre Bedürfnisse erkennen wollen. Denn auch für sie „ist es ein enormer Verlust, plötzlich vertraute Bezugspersonen wie Erzieherinnen und Erzieher sowie ihre Freunde aus der Kita für einen längeren und ungewissen Zeitraum nicht mehr sehen zu können. Alltägliche soziale Kontakte und Interaktionen, gemeinsames Spielen und Bewegen mit (echtem) Kontakt, sowie gemeinsame Lernprozesse – als zentrale Grundbedürfnisse von Kindern – sind in einem Umfang eingeschränkt, dass wir die Folgen für die soziale-emotionale Entwicklung und das Gemeinschaftsgefühl nicht absehen können“ betont Dr. Rahel Dreyer, Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin.

…als wäre es das Einzige

Es sind die jüngeren Kinder, die eigenständig keine sozialen Kontakte ohne Unterstützung ihrer Eltern oder möglichen Geschwistern aufrechterhalten können.

Die Sorgen, Unsicherheit und die Probleme der Eltern, die selbst in starke Spannungsfelder geraten, fallen auf die Kinder zurück.

Ein Drittel aller Kinder (und Jugendlichen) zeigt Verhaltensauffälligkeiten: Das Auftreten von Essstörungen und anderen psychischen Erkrankungen nimmt zu. Das zeigen aktuelle Zahlen der kassenärztlichen Vereinigung Hessen.

Wichtig scheint mir, die Probleme der Kinder sehen zu wollen und sie dann ernst zu nehmen.

Kindergärten und Kitas mit sensiblen Erzieherinnen und Erziehern, können wichtige Schutzräume für Kinder in der Krise sein, besonders dann, wenn sich jedes Kind so wohl fühlt, als wäre es das Einzige.


veröffentlicht von
Olaf Thaler
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